Demut.

Vor einer Woche haben wir endlich mal wieder meinen Großonkel im Pflegeheim besucht. Beim Betreten des Hauses werden immer viele Erinnerungen geweckt, im selben Pflegeheim verbrachten nämlich meine Großeltern ihren Lebensabend.

Dort haben sie zum Beispiel ihre Eiserne Hochzeit gefeiert – das war auch wirklich “eisern”, mein Opa war zu dem Zeitpunkt bereits dement. Was aber auch zu witzigen Situationen führte – bspw. als er sich im Café des Hauses umblickte und (als alter Siemensianer) meinte: “Kein Wunder, dass es mit Siemens so bergab geht. Nur alte Leute hier.”

Grundsätzlich erfüllt es mich mit viel Demut, die alten Herrschaften dort zu erleben. Da ist die Frau, die ihre Sprache verloren hat und nur noch “Fragen” sagen kann. Das macht sie aber dann in der jeweiligen Intonation – sie sagt also “Fragen” auch als Antwort auf unser “Guten Tag!”.
Da gab es die ältere Dame, Frau Dr. Soundso, die nicht ohne ihre Puppe im Arm zu sehen war. Und den Herren, der immer einen flotten Schlager vor sich hinträllerte. Allerdings saßen wir auch mal mit ihm zusammen am Abendessenstisch, als ein Geräusch zu hören war, als ob irgendwo Wasser lief… ich guckte erst, ob vielleicht ein Glas umgefallen war, stellte aber schnell fest, dass er pinkeln musste und es einfach hat laufen lassen.

Auch in diesem Heim erlebte meine Oma gegen Ende ihrer Tage eine schlimme Medikamentenvergiftung, sie musste dann mit der Diagnose “Delir” vier Wochen in der geschlossenen Abteilung verbringen. Eine der schlimmsten Erinnerungen, auch meines Lebens. Einerseits weil ihr Zustand zunächst sehr erschreckend war. Diese immer kluge und disziplinierte Frau war total verloren, sprach nur noch wirres Zeug und litt unter Verfolgungswahn. Da es in den aktuellen Nachrichten damals gerade um einen Kinderschänder ging, sah sie diesen überall, auch mit Pistole usw. – ein sehr beängstigender Zustand. Dank (anderer) Medikamente war dies schnell vorbei, doch musste sie noch weitere Wochen in Haar (psychatrisches Krankenhaus) verbringen.

“Haar” ist für viele Münchner*innen immer noch das Synonym für eine “Irrenanstalt”, wie sie früher genannt wurde, und hat einen entsprechenden Ruf. Es ist auch wirklich kein schöner Ort, die Gebäude sind groß und dunkel und dies hat zusätzlich eine bedrückende Wirkung. In einem der wirklich alten Gebäude, hinter verschlossenen Türen richtig eingesperrt, war nun also meine Oma, die über Nacht noch viel mehr gealtert war und sehr zerbrechlich wirkte. Natürlich waren auch die anderen Patient*innen in zum Teil schwierigem Zustand, sodass es durchaus auch etwas beängstigend war, zumal ich so etwas zum ersten Mal erlebte.

Insgesamt war es vor allem eine so demütigende Erfahrung für meine Großmutter, weil sie wenige Tage nach dem Auftreten des Delirs wieder klar bei Sinnen war. In diesem Zustand erhielt sie dann zunächst einen Arztbrief mit einer ausführlichen Diagnose (zu ihrem Delir, ihrer Uneinsichtigkeit, Verwirrtheit, Paranoia, etc. pp.). Bis heute ist mir unverständlich, warum ihr dieser Brief vor Ort ausgehändigt wurde, ohne dass er ihr im geringsten erklärt worden wäre. Zum anderen bekam sie keinerlei psychotherapeutische Unterstützung, sondern musste die Tage dort absitzen.. fast wie im Gefängnis. Nicht mal einen “Notfalldrücker” gab es (wie sie ihn im Altenwohnstift natürlich hatte) und prompt stürzte sie eines Nachts auf dem Weg zur Toilette.

Alles in allem eine schlimme Erfahrung und mit meinen heutigen Wissen hätte ich mich vielmehr für die Entlassung meiner Oma stark gemacht. Damals war ich nur beeindruckt von der Situation und vertraute den Ärzt*innen in ihrem Urteil.

Ich denke, auch aufgrund dieser Erlebnisse habe ich heute viel mehr Respekt vor dem Alter. Es gibt kaum etwas Wünschenswerteres für mich als bis ins Alter auch im Kopf einigermaßen fit zu bleiben, wenn ich denn auch so alt werden sollte wie viele in meiner Familie. Oder mich zumindest in besten Händen zu wissen, falls dem nicht so sein sollte.

Mein Großonkel übrigens ist 96 Jahre alt und wenn auch körperlich immer gebrechlicher, so doch geistig superfit. Das ist wirklich schön. Doch die Einsamkeit, wenn man seine Frau verloren hat und auch sonst kaum noch wer aus dem früheren Leben da ist, kann einem wohl keine*r nehmen und diese ist wohl an Weihnachten besonders zu spüren. Gut, wenn man dann jemanden hat, die/der einen besucht. Mein Großonkel hat zum Glück meinen Vater, der ihn regelmäßig besucht. Natürlich habe auch ich den Vorsatz, das nun mal wieder öfters zu machen… Gerade zur Weihnachtszeit vielleicht nicht der schlechteste Vorsatz: uns wieder mehr um die älteren Leutchen um uns herum zu kümmern.

Außerdem, auch wenn es abgedroschen klingen mag, man kann es nicht genug schätzen, wie gut es einem geht, und nicht dankbar genug sein für die Menschen an seiner Seite. Diesen weihnachtlichen Gedanken werde ich nun wieder mehr Platz einräumen, auch wenn mich der ganze Vorbereitungsstress in den letzten Tagen immer wieder auch grantig gemacht hat. Doch jetzt muss nur noch der Baum dekoriert werden und das geht ja schnell:

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Frohes Fest und schöne Feiertage wünsche ich!

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