Lektüre.

Schon vorm Osterurlaub hatte ich auf Facebook einen Aufruf gestartet, mir doch bitte Leseempfehlungen zu geben. Netterweise kamen auch einige Antworten, doch hat es bis zum Sommerurlaub gedauert, bis ich auch alle empfohlenen Romane gelesen hatte.

Die Auswahl eines Buches ist ja etwas ganz Besonderes. Das merke ich immer wieder, wenn ich mal im Buchladen bin. Das sind schon wunderbare Orte, an denen man Stunden verbringen kann. Darum gehe ich auch in England so gern zu Waterstones, denn gerade im Urlaub hat man endlich mal die Muße, ein bisschen rumzustöbern. Außerdem zahlt es sich aus, in Bücher ein bisschen reinzulesen, bevor man sie kauft.

Ganz anders läuft es aber, wenn man ein Buch von Freundinnen oder Freunden empfohlen oder geschenkt bekommt. Ich finde, es kann schon etwas sehr Privates (wenn nicht gar Intimes) sein, wenn man jemandem einen Buchempfehlung ausspricht – schließlich gibt man dadurch auch etwas über sich selbst preis. Deswegen finde ich es wahrscheinlich auch so schön, denn ich erfahre gern, wie andere so ticken.

Dabei muss ich allerdings betonen, dass ich es gar nicht schlimm finde, wenn mir ein empfohlenes oder geschenktes Buch mal nicht gefällt. Das heißt zum Glück keineswegs im Umkehrschluss, dass mir der Mensch nicht gefällt. Schließlich sind die Geschmäcker zum Glück verschieden und manchmal kommt es auch nur auf die Lebensphase an, ob einen ein Buch gerade mitreißt oder nicht.

Trotzdem finde ich es ganz besonders und bemerkenswert, ein Buch empfohlen bekommen zu haben, das mich berührt, mich trifft, mich erwischt… das ist immer ein besonderer Moment für eine Beziehung oder Freundschaft, finde ich, vor allem, wenn man sich dann über das Buch austauschen kann.

Von den Empfehlungen, die ich dieses Jahr bekommen habe, haben mir die folgenden drei Werke am besten gefallen:

Thomas Glavinic – Das größere Wunder

Ein ganz schöner Schinken, den ich mir im Buchladen wohl eher nicht ausgesucht hätte. Extremsport ist nun wirklich nicht meines, so hätte mich die Geschichte der Mount-Everest-Besteigung in einem Klappentext wohl nicht angesprochen. Außerdem ist es ein modernes Märchen, ein Genre, das nun auch nicht gerade mein liebstes ist – und die Rückblenden in die Kindheit und Jugend sind schon reichlich absurd. Dennoch habe ich den Roman ziemlich verschlungen… Auch wenn vieles vielleicht auf den ersten Blick nicht mein Geschmack war, fand ich es doch fesselnd  – wahrscheinlich wegen der Sinnfragen und des Freiheitsthemas, welches überall mitschwingt, sowie aufgrund des Schreibstils, der einen mitreißt. Und am Ende ist es ja auch eine Liebesgeschichte…

Man wird älter und älter, und man wartet. Etwas wird passieren, etwas Großes. Das Leben, das man führt, steuert zweifellos auf einen Höhepunkt zu, hinter dem die Versöhnung liegt, die Läuterung, das Glück – unausweichlich und unabänderlich. Eines Tages wird alles gut sein. Das Heute ist fehlerhaft, das Morgen wird vollkommen sein.
Man wird älter und älter und wartet noch immer, mit der Welt und mit sich selbst, und das Erhabene, es will nicht kommen. Die Versöhnung mit sich und mit der Welt lässt auf sich warten, das Glück ist nicht perfekt, die Besserung nicht in Sicht. Mitunter scheint alles gar merklich abwärts zu gehen.
Man wartet weiter. Und fühlt eine dumpfe Sorge aufsteigen. Sorge wird zu Angst, Angst wächst zu Entsetzen. Entsetzen schlägt um in Trauer, Trauer verwandelt sich in Unglaube.

Robert Seethaler – Der Trafikant

Die Wahrheit ist selten gemütlich…

Schon lang bin ich nicht mehr ab dem ersten Wort so gefesselt gewesen… Auf eine sympathische österreichische Art locker-flockig und doch so tiefgründig geschrieben, hat dieses Buch mich sehr fasziniert. Die Geschichte des jungen Trafikanten Ende der 30er Jahre in Wien ist nämlich alles andere als leicht, erlebt er doch wie die Nazis und deren Mitläufer*innen die Stadt und ihre Bewohner*innen nach und nach verändern. Doch daneben geschieht noch so viel mehr: die erste große Liebe des ehemaligen Bauernbuben in der großen Stadt und die Bekanntschaft zu Sigmund Freud bescheren den Lesenden großartige menschliche Einblicke und immer wieder ertappt man sich beim Schmunzeln.

Wir kommen nicht auf die Welt, um Antworten zu finden, sondern um Fragen zu stellen. Man tapst sozusagen in einer immerwährenden Dunkelheit herum, und nur mit viel Glück sieht man manchmal ein Lichtlein aufflammen.
Und nur mit viel Mut oder Beharrlichkeit oder Dummheit oder am besten mit allem zusammen kann man hie und da selber ein Zeichen setzen.

Lily King: Euphoria

Wow! Der Roman spielt ebenfalls Anfang der 30er Jahre, aber in einem ganz anderen Setting, nämlich in Neuguinea zu Zeiten des Kolonialismus. Die Hauptfigur Nell Stone basiert auf der großen Anthropologin Margaret Mead. So bekommt man zum einen faszinierende, exotische Einblicke in die damaligen Forschungen, erfährt einiges über die Stämme und Riten. Durch Kings Sprachkunst hat man fast das Gefühl, mit vor Ort zu sein, die tropische Hitze zu spüren… Zum anderen ist man gefesselt von der Dreiecksbeziehung zwischen Nell, ihrem Mann und einem britischen Ethnologen, auf den sie im Dschungel treffen, sowie auch von den anderen, früheren Beziehungen, die geschildert werden. Die Perspektivwechsel sowie die sinnliche, intensive und spannende Sprache lassen einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

I want too much. I always have.

And all the while I am aware of a larger despair, as if Helen & I are vessels for the despair of all women and many men too. Who are we and where are we going? Why are we, with all our “progress,” so limited in understanding & sympathy & the ability to give each other real freedom? Why with our emphasis on the individual are we still so blinded by the urge to conform? … I think above all else it is freedom I search for in my work, in these far-flung places, to find a group of people who give each other the room to be in whatever way they need to be. And maybe I will never find it all in one culture but maybe I find parts of it in several cultures, maybe I can piece it together like a mosaic and unveil it to the world.

Macht Lust auf mehr Zeit zum Lesen und neuen Lesestoff!

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